
Hyundai Ioniq 6 N – Mut wird jetzt mit N abgekürzt (Sneak Preview)
10.07.2025
Die Spitzenversion der Elektro-Mittelklasselimousine liefert Leistungsdaten, die vor Kurzem noch Supersportlern vorbehalten waren.
„Ferrari F40 4,6 Sekunden“ – „Ätsch, Lamborghini Diablo 4,1 Sekunden“ – „Na geh, schon wieder verloren!“. Kaum jemand, der um 1990 Kind war, erinnert sich nicht an dieses legendäre Duell beim beliebten Kartenspiel „Supertrumpf“. Wenn die Kinder von 2025 ein Exemplar auf dem Dachboden finden, kann es passieren, dass Mami oder Papi das Spiel eindeutig für sich entscheiden. Nicht mit der abgegriffenen Karte, sondern mit dem Autoschlüssel. Dem echten.

Ende Juni 2025 durfte ich als Vertretung für den Verein eTOURING auf Einladung von Hyundai Österreich in die Calvert Studios in Leighton Buzzard reisen.
Den Bericht, den ich für eTOURING verfasst habe, gibt es übrigens hier.
Die ostenglische Marktgemeinde wird den wenigsten etwas sagen, bei den Nachbarstädten Milton Keynes (Sitz von Red Bull Racing und einiger britischer Automobilimporteure) und Luton (Hauptsitz von Vauxhall und bis vor ein paar Wochen Sitz eines Stellantis-Transporterwerks) klingelt es jedoch bei allen autoaffinen Personen.

In einer unscheinbaren Halle in einem typisch britisch unscheinbaren, aber sauberen Gewerbegebiet betreten wir ein Fotostudio, bei dem nicht nur Hobby- und semiprofessionellen Fotografen wie mir der Mund offen bleibt.

Unter einer von der Decke hängenden Softbox, deren Leuchtfläche ungefähr die Abmessungen einer Fertigteilgarage hat, dürfen wir nun rund zwei Wochen vor der offiziellen Premiere beim Goodwood Festival of Speed einen Blick auf ein außergewöhnliches Fahrzeug werfen.

In der Mitte des komplett abgedunkelten Studios steht er, der Hyundai Ioniq 6 N im N-typischen „Performance Blue“. Als Hyundai vor ziemlich genau 8 Jahren mit dem i30 N das erste N-Modell herausbrachte, war das an sich ja schon sehr mutig. Eigene Performance-Subbrands leisten sich auch in Europa nur wenige, aus Asien ist mir eigentlich nur Ralliart bekannt und wenn sie schon vergessen haben, dass das zu Mitsubishi Motors gehört, dann zeigt das eigentlich ganz gut, wie erfolgreich das war. Das N steht übrigens sowohl für Namyang, den Sitz des Hyundai-Entwicklungszentrums als auch für den Nürburgring.
Erfolgreich war Hyundai mit den N-Modellen aber nicht auf dem Nürburgring, sondern auf den Rallyepisten. 2024 wurde erstmals ein Fahrer eines i20 N Rallye-Weltmeister.

Mutig war auch die Markenfarbe Performance Blue. Sportwagen in Babyblau? Aber gut, dass Gerald Kiska es 1992 gewagt hat, den KTM-Motorrädern ausgerechnet die Farbe von Straßendienstfahrzeugen zu verpassen, war wahrscheinlich noch mutiger.

Besonders mutig von Hyundai war und ist auch das Design des 2022 erstmals präsentierten Ioniq 6. Fassen wir es kurz: Das Design polarisiert, wirkt aber seit dem Facelift 2025 etwas stimmiger.

Die N-Version wurde mit tatkräftiger Unterstützung des Hyundai Motor Europe Technical Center in Rüsselsheim nicht nur motorisch und softwartechnisch (dazu komme ich später), sondern auch designtechnisch auf Rennsport getrimmt. Die kantigen Lufteinlässe in der schwarzen Frontschürze harmonieren überraschend gut mit der im Windkanal glattgelutschten Karosserie. Die Seitenschweller haben fast schon Trittbrett-Dimensionen und lassen zusammen mit den Beplankungen der Türen (in den 1980ern hat man sowas nach dem Mercedes-Chefdesigner „Sacco-Bretter“ genannt, obwohl der die eigentlich vom Renault 5 abgekupfert hat) trägt es dazu bei, dass die Karosserie niedriger wirkt als sie tatsächlich ist.

Der unterhalb der Heckscheibe im glänzendschwarzen Teil der Kofferraumklappe montierte Heckspoiler hat gewaltige Dimensionen. Gerade aber die Dimension und der glänzende Lack machen unmissverständlich klar, dass es sich hier um ein Originalteil handelt. Generell ist glänzendes Schwarz omnipräsent, auch in den Deckeln der (konventionellen!) Spiegel, der B-Säule etc. Dazu gibt es dezente rote Akzente in Form eines fast rundum verlaufenden Streifens und roter Bremsbacken. Auf diesen sind – so wie auf de Frontschürze und dem Kofferraumdeckel – das N-Logo platziert.

Nun zu den technischen Daten. Die haben es in sich. Mit 478 kW (650 PS) im sogenannten „N Grin Boost Mode“ überflügelt der Ioniq 6 N auch jene Fahrzeuge, die noch vor 1-2 Jahrzehnten im Trumpf-Spiel die absoluten Siegerkandidaten waren. Selbst die „Einstiegsmodelle“, die Ferrari, Lamborghini und McLaren heute anbieten, liegen darunter. Auch bei der Beschleunigung (wohl ca. 3,3 Sekunden von 0 auf 100 km/h) liegt auf diesem Level. Mit Ausnahme des AMG C63 S E Performance ist übrigens bislang auch noch keine Verbrenner in der Mittelklasse in diese Leistungsdimensionen vorgedrungen.

Für das – von mir noch nicht getestete Fahrerlebnis – gibt es allerlei technische Features, sogar einen „N e-Shift“ genannten Schaltknüppel, der das Schaltgefühl einer 8-Gang-Schaltung vermitteln soll, natürlich in Kombination mit künstlich erzeugten Geräuschen. Wesentlich sinnvoller ist es sicher, dass der Fahrer oder natürlich auch die Fahrerin verschiedenste Parameter selbst einstellen kann. Man kann das Auto also sowohl absolut deppensicher fahren als auch komplett hardcore selbst steuern, driften etc. Für letzteres empfiehlt sich übrigens ein Fahrsicherheitstraining.

Fahren durfte ich wie gesagt noch nicht, aber reinsetzen. Trotz der breiten Schweller gelingt der Einstieg leichter als bei so manchem Kleinwagen. Die Sportsitze sind gut konturiert, aber dennoch bequem genug, um die Oma damit zur Kirche zu kutschieren. Das Lenkrad liegt gut in der Hand. Auch wenn es eine Menge erklärungsbedürftiger Knöpfe gibt, ist doch alles, was man zum sofortigen Losfahren benötigt, dort, wo man es erwartet und gut erkennbar.

Der Platz auf der Rückbank ist durchaus taxitauglich. Mit rund 400 Litern ist dahinter auch so viel Platz, wie man von einer Mittelklasselimousine erwartet, aber auch nicht wirklich viel mehr. Die beiden rot lackieren Streben zur Karosserieversteifung nehmen leider ein bisschen Platz und viel Flexibilität weg.

Absolut urlaubstauglich auch der Akku mit 84,0 kWh, der mit bis zu 350 kW geladen werden kann und eine Reichweite von über 450 Kilometern verspricht. Alles natürlich unter der Voraussetzung, dass man die Autobahn nicht mit dem Nürburgring verwechselt.

Den Preis wollte Hyundai noch nicht verraten. Die gleich motorisierten Modelle Hyundai Ioniq 5 N und KIA EV6 GT kosten jedenfalls in Österreich zwischen 70.000 und 80.000 Euro und irgendwo in dieser Spanne wird wohl auch der Ioniq 6 N liegen. Damit würde er zwar derzeit an der Spitze der Elektrofahrzeuge dieser Fahrzeugklasse liegen, aber dennoch weit unter dem, was die (schwächeren) Benzinsportler namens Quadrofoglio, (R)S, M oder gar AMG kosten.

Zum Schluss noch etwas zum Verständnis. Anders als bei Verbrennern ist bei E-Fahrzeugen mehr Leistung keine technische Herausforderung. Auch 1000 oder 2000 PS wären möglich. Die wahre Kunst ist es, die richtige Balance zu finden, um das Auto beherrschbar, alltags- und reisetauglich und bis zu einem gewissen Grad auch leistbar zu machen. Das Grandiose am Ioniq 6 ist also nicht die Leistung an sich, sondern dass diese Leistung in einem absolut alltagstauglichen Mittelklasseauto erbracht wird.

FAZIT
Mit dem Ioniq 6 N setzt sich Hyundai an die Spitze der sportlichen Mittelklasseautos und das fast ohne Abstriche im Hinblick auf die Alltags- und Reisetauglichkeit. Die ersten N-Modelle wollten noch mitspielen, mit dem Ioniq 6 gibt Hyundai nun den Takt vor.
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